Freitag, 26. Oktober 2012

geschlagenes Vorgestern

Fast nur zu meiner persönlichen Bestätigung, dass mich die Erinnerung nicht trügt und ich etwas erfinde, was nicht oder so nicht gewesen ist, hebe ich Heute ein Fundstück in diesen Blog, auch wegen der Andeutungen, die ich in einige Beiträge hineingeschrieben habe.
Ich habe auch privat einen DokumentarFilm aufgezeichnet, mit Filmausschnitten aus Strassenaufnahmen aus dem Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts - die Jahre kurz vor dem ersten Weltkrieg -, darin ist zu sehen, wie "erwachsene" Menschen fremde Kinder schlagen, es ist deutlich, dass es fremde Kinder sind, es sind "Erwachsene", die sich durch das Spiel von Kindern gestört fühlen und einfach mal zulangen beim vorbeigehen, ein Mann im dunklen Anzug mit Hut gibt einem Kind, das auf der Strasse steht und in die Kamera starrt, im Vorbeigehen eine Ohrfeige und lacht dabei, das Kind hält die Hand an die Wange und geht in die andere Richtung ab, ein Polizist schlägt auf Kinder ein, die mit einem Karren auf der Strasse herumfahren und die Kinder nehmen diese Schläge mehr oder weniger Gleichgültig hin und ziehen den Karren von der Strasse, der Polizist geht ungerührt davon. Alles normal. Damals. Erziehung bedeutete Schlagen und Prügel, anderes wussten die Menschen damals kaum von "Erziehung", der Film von Michael Haneke "Das weisse Band", kündet ebenso von diesem Geschehen, von dieser damaligen Erziehungs-Normalität.
Da Oliver-August Lützenich diese "Normalität" noch erlitten habe und damit bis Heute leide, bin ich auch bei diesem Thema sehr aufmerksam. Um dem Verdrängen und dem Vergessen vorzubeugen, sammle ich davon Zeugnisse, auch, weil ich weiss, dass die Heilung die Aufmerksamkeit und die Erinnerung, als Motivation und zur Orientierung braucht. Die Gesundung von den Schmerzen, braucht eine Richtung und um die Richtung zu finden und halten zu können, braucht es (Auf)Klärung, braucht es das Licht des Wissens und nicht die Dunkelheit des Vergessens, deshalb, hier für mich und für Interessierte, oder ebenso Betroffene in(mitten) den Leses, ein weiteres Zeugnis von dieser verschlagenen Vergangenheit. Möge sie bald aufgehellt sein und das Schlagen ausgeheilt. Warum spüren soviele Menschen Bedenken oder fühlen gar Angst, während dem Prozess der Transparenz, der durch Forschung und Technik immer mehr Fahrt aufnimmt? Ist das Bedürfnis der Gewalt und der gegenseitigen Unterwerfung und Klein(Tier)Haltung so stark in Uns?

Aus Süddeutsche Zeitung, vom 24.10.2012, von Adrienne Braun
Titel: Wer nicht pariert, wird vertrimmt
Untertitel: 'Die geprügelte Generation', jetzt auf der Bühne in Stuttgart

Der Herr des Hauses hatte Stil. Wenn er schlug, dann mit der Reitgerte. 'Wir waren schließlich eine Reiterfamilie', sagt Ilka. Vater und Bruder haben sie häufig bewusstlos geschlagen. Bei Detlev hat dagegen stets die Mutter das Prügeln übernommen, sie schlug mit allem zu, was sie zur Hand hatte. Sonja bekam immer Dresche mit dem Rohrstock, Tillmann wurde von Hand gezüchtigt, 'damit er nicht übermütig wird'.

Alltag in Nachkriegsdeutschland. {Sie wissen aus meinen obigen Sätzen, dass diese Prügelei viel weiter zurückreicht, wie weit, ist mir unbekannt, vielleicht Jahrhunderte?} Das zumindest lässt das Buch 'Die geprügelte Generation' vermuten, in dem die Journalistin Ingrid Müller-Münch Protokolle zusammengetragen hat von Menschen, die wie sie als Kind geprügelt wurden.

Das Buch 'Die geprügelte Generation' hat Anfang des Jahres viel Aufmerksamkeit erregt, sodass das Stuttgarter Theater Rampe es nun auch auf die Bühne gebracht hat. Stefan Bruckmeier hat in seiner Bühnenfassung, für die er den Titel 'Schlag auf Schlag' gewählt hat, vier Schicksale herausgegriffen, die verschiedene Milieus spiegeln und sich doch gleichen: Prügel galten stets als probates Mittel der Erziehung, legitimiert durch Sprüche wie 'Wen Gott liebt, den züchtigt er' oder 'Wer nicht pariert, der wird vertrimmt'.

Wie auf Kindergröße geschrumpft sitzen die vier Darsteller auf überdimensionierten Stühlen und erzählen sich ihre Leidensgeschichten. Es sind starke, harte Monologe, die die Regisseurin Eva Hosemann ganz unnötig versucht hat aufzulockern durch angedeutete Interaktion und Kommentare wie 'Ey Leute, echt'. Die Berichte stecken voller Trauer und sind doch frei von Larmoyanz.

Es mögen extreme Schicksale sein, aber sie wurden gesellschaftlich akzeptiert. Jugendamt und Polizei schickten die misshandelte Ilka wieder nach Hause. Der Vater habe sicher Gründe für die Prügel gehabt.

Ingrid Müller-Münch skizziert in ihrem Buch auch das gesellschaftliche Klima - im Theater stehen die persönlichen Schicksale im Vordergrund und die Versuche, mit den Demütigungen der Kinderzeit fertig zu werden. Zumindest Sonja (gespielt von Eva Linder) sieht ihr Schicksal ganz im historischen Kontext: 'Die Eltern waren über den verlorenen Krieg so wütend, zutiefst frustriert.' Nach den Schlägen aber seien sie jedes Mal 'befreit, fast glücklich' gewesen.
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