Dienstag, 22. Mai 2012

IntellektuellenAngst

Da ich *ein überaus ängstlicher Mensch bin, deswegen auch ziemlich gehemmt, werde ich stets hellhörig, wenn es zu diesem Thema einen aufklärenden, einen vielleicht abbauenden Text, eine Diskussion oder ein Gespräch gibt.

Thema im ersten Philosophischen Quartett, in 2001, mit Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski war: "Angst". Gast war u.a. Reinhold Messner.
Ein Auszug daraus.
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Vorwegg: Bitte vergessen Sie beim Lesen nie, dass es freie Rede und keine gedruckte und daher nach-geprüfte/-gebesserte Rede ist, am besten Sie sprechen laut mit, Danke. Und, in diesen Klammern: {...} sind persönliche Bemerkungen eingebunden.
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Reinhold Messner: "Die Angst ist beim Menschen relativ tierisch, also instinktiv da. Wir brauchen gar keine Religion, keinen Intellekt, um Angst zu haben. Das ist erst in einer zweiten Phase. Die Angst hat sicherlich zu tun mit Begrenztheit. Wir sind begrenzt, wir sind ja keine besonders geschickten Lebewesen {da würde *ich schon mal Widerspruch einlegen und fragen: Im Vergleich mit welchem anderen Lebewesen? Denn im Vergleich mit einem Bären, einem Hund einem Frosch oder einer Ameise sind Wir Menschen doch bestimmt geschickter, oder?}, auch keine besonders schnellen Lebewesen {und, würde ich hinzufügen, Wir sind keine besonders wehrhaften Lebewesen, also zumindest ohne von Uns extra angelegte Panzerung und die vielen Waffen, welche Wir inzwischen hergestellt haben, aber das erwähnt Herr Messner gleich} und wir sind sehr schnell, wenn wir aus diesem Pseudo-Sicherheitskreis, aus diesem Als-ob-Gefahrenraum, in dem wir alle leben, herausgenommen werden, an der Grenze unserer Möglichkeiten. Und stehen dann vor dem Fremden {das auch die Verwandtschaft oder das Nachbar sein kann, oder?}, vor dem Nicht-Bewältigbaren, vor dem Jenseitigen. Ich bezeichne das, als das Jenseitige, das, was jenseits unserer Möglichkeiten ist. Und wir haben diesen ungemein starken Überlebenswillen {was weiss der Herr Messner vom Überlebenswillen der Bärlauch-Pflanze, oder dem der TigerFliege, des StachelRochen? Das Mensch übertreibt gerne, wenn es um das Selbst geht, nimmt Es sehr viel wichtiger und bedeutender als ALLES Andere, oder? Ist Natürlich, klar, aber ist es beim Bewerten der Wirklichkeit hilfreich?}, diesen ÜberlebensInstinkt und der kann ja nur, wenn die Angst da ist, überhaupt funktionieren.
Aus dem was ich {Herr Messner spricht vom allgemeinen Ich, vom Uns} an Erfahrungen habe, gespeichert, instinktiv, ich rede gar nicht vom Intellekt, und dem, was ich {allgemein} jetzt in der Gefahrensituation dazu entscheide, und zwar schneller, als mein {allgemein} Verstand denken kann, instinktiv, versuche ich das zu machen, dass ich aus dieser Gefahrensituation herauskomme, und dazwischen erlebe ich die Angst.
Ich habe gerade in den folgenden Situationen, - ich bin ja kein Philosoph, und ich bin kein Psychologe, sondern ich bin ein genauer Beobachter, ich bemühe mich ein genauer Beobachter meiner Selbst zu sein -, bei grossen Gefahrenmomenten kommt zuerst wirklich die Angst, wie eine Lähmung [Peter Sloterdijk stimmt dem kopfnickend und aufrichtend zu], über mich. Ich kann das nicht verallgemeinern, weil ich ja keine wissenschaftlichen Studien gemacht habe, wenn es dann aber noch schlimmer wird, dann erfindet mein Wesen, mein ganzes Wesen, gegen die Gefahren alle möglichen Tricks, um durch zu kommen und die Angst löst sich mehr und mehr auf."

Rüdiger Safranski: "Sie verschwinden. Ja, ja. Sie beschreiben ja, ich meine, die Biologie der Angst. Ja? Die unserer Gehirnströme. Die besagt ja, dass ein Ereignis, das als Stressor wirkt, führt erst mal dazu, dass im Gehirn alle möglichen Verbindungen ausprobiert und wie darauf reagiert wird. Dieser Moment, wo das Gehirn noch nicht ein Reaktionsschema auf ein unbekanntes Ereignis hat, das ist dieser Moment der Angst.
Dann, wenn es gut geht, spielt es sich langsam ein, es gibt dann einen Reaktion und dann sinkt wiederum der Stress. Die Biologie der Angst sagt, und deswegen ist es so wichtig: Unser Gehirn lernt nur, wenn es solche Momente der Angst immer mal wieder gibt, weil das Gehirn dann unter Zwang gerät, aus den eingefahrenen Bahnen herauszukommen."

Reinhold Messner: "Richtig. Ich würde sagen, nicht postulieren, aber mindestens als Frage aufwerfen, ob wir Menschen nicht zum Verstand gekommen sind: Über die Angst. Über die Tatsache, dass wir Mängelwesen sind und eben nicht geschickt und nicht schnell sind und nicht besondere Eigenschaften haben, um in der Wildnis zu überleben. Und dann die Intelligenz entwickeln mussten, um zurechtzukommen, in diesem Habitat Erde, mit vielen Konkurrenten, dem Säbelzahntiger, und ich weiss nicht mit welchen anderen wilden Tieren, die hinter uns her waren. Und erst später kam dann die Philosophie dazu und Mensch hat sich gefragt, warum sind wir da, wo sind wir, was ist das Jenseitige und das Diesseitige? Aber der Verstand ist vermutlich erst gekommen, aufgrund der Tatsache, dass wir uns auf der Erde nur so behaupten konnten und ununterbrochen von Ängsten gefordert werden.
Die Angst steht am Anfang des Intellekts [grosser Beifall des Publikums, nicken von Rüdiger Safranski und Peter Sloterdijk]."

In einem weiteren Philosophischen Quartett zum Thema: "Doping", Anfang 2008, fragt Rüdiger Safranski in etwa: "Warum haben Sie, bei all den extremen Touren, die Sie gegangen sind, und die Sie geklettert sind, auf die zusätzliche Hilfe durch Sauerstoff, Medikamente, Doping oder gar Drogen verzichtet?"

Reinhold Messner: "Weil es mir um die Menschen-Natur geht. Ich frage mich nicht, wie weit ich komme oder, wie hoch ich steige, sondern was passiert in {!} mir, wenn ich mich diesen Gefahren, dieser Höhe, diesen Anstrengungen ausliefere. Und wenn ich irgendwelche Tricks nehme, dann erfahre ich über mich gar nichts."

Chapeau und d'accord Herr Messner!
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Robert Delaunay, "Paris"
Eine Impression in und aus der Stadt der Liebe.
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Ein paar NachGedanken nun von mir:
Beim Thema Angst als Verstärkung oder gar Verursachung der Vernunft, bin ich im Zweifel, in grossem Zweifel, bis zu Ablehnung.
Ist die Angst, die Überwältigung bis zur Starre, durch das Bedrohliche und Unbekannte, wirklich der Auslöser, der Grund, also zwingend notwendig, zum Entstehen und zur Förderung des Intellekts, der Vernunft, des Verstandes (so viele Wörter für ein Phänomen!?), des Geistes, des Bewusst-Seins vom DaSein und vom SEIN?
Klar, fordert das Fremde und das Bedrohliche die Aufmerksamkeit und die Verteidigungs-Bereitschaft und auch das Erfinden von Strategien zur Abwehr, zum Umgehen, oder gar der Beseitigung von Gefahren oder Fremdem, aber ist das auch Nachhaltig?
Alle Tiere, die gefressen werden, sind ständig bedroht, sind oft auch auf der Flucht und kommen in unbekannte Gebiete und Klimazonen, aber entwickeln die deswegen einen Intellekt, eine Vernunft, die mit der menschlichen zu messen ist? Kann Rotwild Mathe, können Gnus Politik?
Ja, bestimmt, auf ziemlichem Reh- oder Gnu-Niveau, aber das ist im Vergleich zu Uns doch wohl ziemlich wenig, oder?
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Ich vermute, dass zum Starten und zum Ausbau des Intellekts, - auch des Interesses an weit mehr, als nur der Nahrung und der Sicherung des Überlebens -, weit mehr und viel besseres benötigt wird als Stress, als bekleidete oder nackte Angst. Ich vermute sogar, dass die Angst, ab einem stärkeren und andauernden Niveau, die Entwicklung von Klugheit und Umsicht, ja sogar von einfacher Schläue hemmt.
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Zur weiteren Entwicklung und zum Ausbau der Klugheit und des Verstandes, zum verantwortungsvollen Verstand, also zur Verantwortung und Weisheit, brauchen Wir den Abbau von Angst, den Abbau von Hindernissen durch Bedrohung, Zwang und Fremdheit. Wir brauchen dazu friedliche Herausforderungen, freundlichen Umgang miteinander und eine lebenslang gesicherte Versorgung mit Nahrung, Unterbringung, Kleidung, Wissen und Aufmerksamkeit. Dass Wir uns das noch vorenthalten, ist auch Thema der Occupy-Bewegung, denn dabei geht es nicht nur um Schulden und Geld, dabei geht es auch und vielleicht vor allem, um eine andere Begründung und Ausgestaltung von Zusammenleben, von einem weniger egoistischen und ignorantem Miteinander, als es aktuell der Fall ist. Aber das ist Thema eines anderen Beitrags in der Sprechlichtung.
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Denn Eines haben die Damen und Herren um Reinhold Messner anscheinend verdrängt:
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Die Angst ist ein schlechter Ratgeber. 
Die Angst sucht nur kurzfristige Auswege, aber sie ist eine Behinderung langfristiger und nachhaltiger Strategien und angstfreier [Er]Lebensmodelle. Aber immerhin dazu (zur schnellen und jeweils aktuellen Sicherung des Lebens) ist sie "vernünftig" und sehr praktikabel. Auf Dauer ist sie schädlich.
Jetzt ist die Frage: Wie ist der aktuelle Befund der menschlichen Gesellschaften, was den Stand der Angst angeht, der hintergründigen, der dauernd anwesenden Angst, die sehr leicht aufkocht und in Panik überläuft?
Wenn ich so in die Umgebung, nah und fern schaue, dann ist Angst ein über die gesunden Massen bedeutender Faktor. Und das ist kein guter Befund.
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Widersprechen Sie mir Bitte.

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