Freitag, 2. November 2012

Von der Zeugung des Bewusst-Seins

"Insoweit als die Religion ein Quell des Trostes ist, ist sie ein Hindernis für den wahren Glauben: in diesem Sinne ist der Atheismus eine Läuterung. Ich soll Atheist sein mit dem Teil meiner selbst, der nicht für Gott gemacht ist. Unter den Menschen, bei denen der übernatürliche Teil ihrer selbst nicht erweckt ist, haben die Atheisten recht, und die Gläubigen haben unrecht."
Von Simone Weil, aus »Schwerkraft und Gnade«, Kösel Verlag, 1952, Seiten 210-211.

Die Schwerkraft des Glaubens möchte keinen Trost spenden, das ist gut beobachtet, die Schwerkraft des Glaubens möchte die Macht (in Gestaltung und Richtung des DaSein) der »Un-Bewusst-Heit« bewahren.
Wie Sie aus den Erkenntnissen der NeuroWissenschaften und der SozialWissenschaften und aus den sonstigen aufmerksamen Beobachtungen der Lebendigkeit entnehmen können, ist das DaSein ein fast zu hundert Prozent unbewusster Prozess, geleitet von der Zusammensetzung (dem Aufbau) der Grundsubstanzen und den Gesetzen (Kräfte, Wechselwirkungen und Grenzen) im Zusammenwirken der Grundsubstanzen - während der RaumZeit-Phase des DaSein.

Eine interne MitWirkung bei der Gestaltung und der Richtung der Entwicklung des DaSein, der Natur, ist zwar vom Grundsatz vorgesehen, sonst gäbe es die Möglichkeit "Bewusst-Sein" nicht, aber sie ist bisher noch in der Zeugungsphase. So bemerke ich das.

Bewusst-Sein ist dabei die Möglichkeit einzugreifen in ein erkanntes Geschehen, ist die Möglichkeit von Innen aus - das Innen und das Aussen - zu gestalten, indem Prozesse gehemmt werden, indem Wirkungen genutzt werden, indem vorhandenes neu kombiniert und damit auch die Richtung und Ausgestaltung des Geschehens eine Richtungsänderung erfährt.

Bisher wird Uns diese Richtung vorgegeben, von Etwas, das Ausserhalb des DaSein war, aber auch im Innen vorhanden ist - aus dem das Innen (das DaSein) vielleicht besteht. Die Gestaltungskraft ist dem Gesamten DaSein mitgegeben, und liegt damit auch in Uns Irdischen Lebensformen, so empfinde ich das.

Das Glauben ist für mich der Bereich der unbewussten Steuerung, "anhand" von Vorgaben aus dem Vor-DaSein, und Es ist mächtig und Es kennt keinen Trost, Es kennt Aufgaben und Es folgt einer Richtung.
Aber Es hat Gefühle und nimmt wahr, sonst wären diese nicht auch in Uns, aber diese sind nicht auf den Erhalt und die Bereicherung von einzeln-Es im DaSein gerichtet, sondern auf das Ganze, auf den Erhalt und die Weiterentwicklung des Ganzen. Die Chance, vom Ganzen auch für Jedes Einzelne Selbst zu profitieren, ist Uns gegeben, ist das eine gute Idee, oder ist es Unfug.
Zweifeln Sie. Aber...

... nun von der Ein- und der Ausbildung des Bewusst-Seins (dazu noch ein NachWort von Friedrich Nietzsche, ganz unten in diesem Beitrag) zu einer wirklichen Grösse, die der Macht des Glaubens standzuhalten vermag; das Glauben zu würdigen, ist eine Grösse zu Beginn, jedoch ...

... wie wollen Wir dem Wissen - und dessen Wirkung in und für Uns - noch entkommen?

Mir macht das, was ich im folgenden kurz anreisse und beschreibe, auch Angst, das garantiere ich Ihnen, ich bin jedoch andererseits nicht bereit vor irgendeiner Angst gleich zu kapitulieren, nur dann, wenn die Gefahr, auf die die Angst weisst, mich direkt und sofort schmerzhaft bedroht: also vor einem gezückten Messer oder gar einer Pistole würde ich sofort kapitulieren. Die Angst, die ich aus dem Wissen und aus dem Glauben spüre, lässt mich zwar erschrecken, aber sie bringt mich auch dazu, oder hält mich nicht davon ab, noch ein Stück näher hinzuspüren, oder auch mehr darIn zu fühlen.

Vieles davon ist auch so weit entfernt, dass ich, wie die Allermeisten, denken könnte, das betrifft mich nicht, also kümmerts mich auch nicht, -> könnte - tut es oft auch -, aber dann aber packt es mich und die grosse Lust - oder auch [Neu]Gier, ist da -> Fern zu schauen, Nein, nicht bloss zu schauen, Fern zu spüren, also auch zu denken, auch wenn es mich vielleicht nicht betrifft.

Aber Sie erkennen schon an dem Titel dieses Blogs, dass ich Verantwortung in mir fühle und die Verantwortung ist, für mich, ein Gefühl und eine Handlungsweise, die stets in etwas noch ungemachtes und unerlebtes weist; soll ich das Zukunft nennen?

Verantwortung ist für mich die "tatenvolle" Frage nach der möglichst konkreten Folge einer Jetzt-Handlung. Was folgt aus dem Geschehen des Jetzt, was setzen Wir da ins Voraus-Sein hinein?
Aus diesem Gefühl heraus, schreibe ich in diesen Blogs und forsche ins Jetzt und stochere in die "Zukunft"? In das Unbekannte in mir und das Unbekannte Ausser-mir.

Eine kurze Episode aus dem Film «Barbara», von Christian Petzold, hat mich auch zu diesem Text angeregt.
Die titelgebende Person, Barbara, wird von ihrem neuen Chef, Andre, nach Hause gefahren; der kennt den Weg bereits genau, ohne Sie vorher nach dem Weg gefragt zu haben. Barbara: "An der Kreuzung hätten Sie mich fragen müssen, wo ich wohne. Aber das wissen Sie ja bereits. Sie sind doch präpariert."

Früher war Wissen «Herrschaftswissen», das u.a. zur Überwachung eingesetzt wurde, deshalb die spitze Bemerkung der Hauptperson in diesem Film.

Was ist, wenn Wir ALLE[S] wissen?
Sie fragen zuRecht: Was ist ALLES? Gut, ich vermute, sobald Etwas an die Grenze kommt, ALLES zu Wissen, ist ES das SEIN Selbst und ist ohne Frage. Sie könnten weiter fragen: Warum dann das DaSein, wenn das SEIN ALLES weiss und ALLES ist; Warum dann eine Struktur, ein Bereich darin, der voller Fragen ist?
Darauf weiss das DaSein bisher -Selbst- keine Antwort, schätze ich mal.

Wir erforschen das gesamte DaSein aus und damit auch einen Bereich des SEIN, vom Allerwinzigsten bis zum ALLERRIESIGSTEN!, also werden Wir bald sehr viel mehr über und von Uns Menschen wissen, als Uns vielleicht lieb ist, viel mehr, als Andre in diesem Film von Barbara wusste und wissen konnte und zwar Jedes von Jedes, JedesRaumZeit.
Wenn Uns die Technik bald alle Mittel zur Verfügung stellt, fast Alles über unsere jeweilige Umgebung und unseren aktuellen Umgang (Mit-Menschen und andere Lebewesen) zu wissen, zu erkennen; was ist daran schlecht? Die Angst davor mal etwas beiseite geschoben und erst recht gefragt.

Das heisst auch, aus der «Überwachung» herauszuwachsen, denn Überwachung ist die «Kontrolle/Einblick» Einzelner oder Weniger "über" andere Einzelne oder Wenige, ohne deren Wissen und Einwilligung.
Wissen ist dann «GUT», wenn es Jedes nutzen kann. Wenn Wir also wechselseitig Informationen von Allen, mit denen Wir zu tun haben, einsehen und zur Vertrauenserhöhung im Miteinander nutzen können. Wir sind dazu auf dem Weg und sparen dabei längst Niemanden mehr aus. Das grosse Bedürfnis nach Vertrauen und Geborgenheit sind dabei die Schubkräfte.

Beispiele für die nahe Zukunft:

In einigen Laboren hantieren die Forsches (Menschen -> Wir) inzwischen mit den Bausteinen der Materie, sie verschieben einzelne Atome aus Verbindungen (Moleküle) heraus und übertragen sie gezielt auf/in andere Materialien. Ein Material ist z.B. Glas. Durch den Zusatz von Silber wird Glas Schmutzabweisend. Jeder Wasserguss wäscht die Schmutzteilchen vom (Silber-)Glas gänzlich ab.
Messfühler auf Nanoniveau (Nano = 1 Milliardstel Meter, ist kleiner als 10 hoch minus 9) können bald jedes Element oder Molekül aus der Vielfalt der Luft oder auch festen Stoffen identifizieren. Ein Träger (z.B. eine Mess-Folie oder ein -Fühler), der besetzt ist mit den gewünschten NanoSensoren kann - angeschlossen an ein AuswertungsGerät, beispielsweise an ein MobilTelefon -, Auskunft davon geben, in welcher Umwelt das Mensch sich gerade befindet, wie genau oder ungenau, - je nach Ausstattung mit NanoSensoren -, die direkte oder auch weitere UmWelt zusammengesetzt ist. Welche Substanzen und Lebewesen darin enthalten sind und in welchem Zustand die Materie und die Lebewesen sind, also auch was ein Mensch kürzlich getrunken und gegessen hat (aus der Zusammensetzung der Atemluft und der Schweissabsonderung). Die NanoSensoren und die AuswertungsGeräte werden so günstig sein, dass sie für Jedes auch verfügbar sind.

Es ist also bald möglich, dass Jedes von jedes Anderes den Inhalt und den Zustand umfassend kennt, auch den von der UmGebung in das Eines eingebettet ist. Sie merken, das geht weit über das hinaus, was Wir jetzt aus GoogleMaps, dem Gefühls- und Augeneindruck, den Medien, Karten und anderen Stadt- und LandschaftsDiensten bereits geliefert bekommen.
Wir holen Uns also Fähigkeiten hinein oder zurück, die andere Lebewesen längst sind, die in anderen Lebewesen zu grosser Vollkommenheit entwickelt wurden. Der Geruchsinn von Hunden ist dem von Menschen weit überlegen. Manche Insekten riechen Konkurrenten, die Hormone von Sexualpartnern oder auch Nahrung über mehrere hundert Meter oder sogar Kilometer hinwegg.
ZinkoxydFäden geben/setzen bei Druck und Verbiegen Elektronen frei (Elektrizität). Eingebaut in die Kleidung, könnten diese Strukturen elektrische Geräte (MobilTelefon) mit Dauerstrom versorgen. An-/Aufgebracht an Stoffe oder flexible Materialien (Büsche, Bäume) im Freien, könnte das Material Uns bei jeder Windbewegung mit Strom versorgen, egal wo Eines gerade ist.
Da NanoSensoren alle Substanzen und Lebensformen erkennen und melden können (s.o.), sowie auch bald in der Lage sind, unsere Umwelt (Luft, Wasser, Boden, Materie) zu reinigen, also störende/kränkende Fremdstoffe zu entfernen, könnten sie Uns nicht nur vor Fremdstoffen und Krankheitserregern, wie Viren und Bakterien warnen, sondern sie auch gleich töten und Uns so vor, zumindest bekannten, Krankheiten bewahren. Das Töten muss aber gar nicht sein, denn Wir könnten Uns auch stärken, Uns vielleicht sogar mit den Mit-Lebewesen dieser irdischen Welt einigen, um die Galaxien zu erforschen. Spinnerei?

Eine bessere Welt.

Oder möchten Sie ein Fragezeichen setzen?
Es ist also bald möglich, dass Eines, - ausgestattet mit Nano-Bio-Sensoren -, jedes andere Eines genau ausmessen und untersuchen kann: anhand des Atems, der Temperatur und der Zusammensetzung des Schweisses, ist der genaue Zustand jedes Einzelnes bis in kleinste Details möglich (Stimmung, hormonelle Ausstattung, Sättigung u.v.m.), also auch, was Eines in den vergangenen Stunden und Tagen geraucht, getrunken, gegessen oder sonstwie konsumiert hat.
Und das so günstig, dass es für Jedes zu haben ist.
Angeschlossen an alle mitgeführten Geräte, ist auch eine Zustandsmessung aus der Ferne (von Stadt zu Stadt) für Jedes möglich. Wir könnten also genau wissen, wie die Gesprächs- und sonstigen Partner im Augenblick der Begegnung gestimmt und zusammengesetzt sind.

Ich möchte betonen, dass es eine Technik für Jedes ist, keine der «Über»Wachung, UND dass es Techniken sind, die bereits vorhanden und vielleicht -bald- verfügbar sein werden, also weder Phantasie noch Science Fiction.

Wenn also die Szene aus dem Film «Barbara» eine der aufgedeckten Überwachung war und daher für die Überwachten unangenehm, wie ist es, wenn Wir FAST Alle[s] von FAST Allen wissen, was Wir vom mit- und voneinander wissen möchten?
Ist das erkannte Mensch die Zukunft.
Zumindest bald Wirklichkeit.

Krankheiten und Stimmungsänderungen erkennen Wir dann in Uns und bei den direkt UmSeienden, schon im Ansatz und können entsprechend handeln, also gegensteuern oder verstärken, je nach Lust und Wunsch. Gefahren werden sofort entschärft. Das wechselseitig Versteckspielen, die grossen Unsicherheiten und damit das Misstrauen in und um Uns, sind dann vorbei. Wir werden, wenn Wir die neuen Techniken ausbauen und verteilen, so sicher und gleichbleibend gesund leben, wie es heute noch "unvorstellbar" ist.

Vielleicht ist diese
Un-Vorstellbarkeit genau das, was Uns bei der Vorstellung ängstigt?
Was gewinnen Wir, wenn das Misstrauen weiter gedämpft wird und Wir einander erkennen und wechselseitig begreifen, so ganzheitlich und umfangreich, wie es bisher nicht möglich war? Wir beantworten u.a. die Frage/n: Was sind Wir und Wer bin Ich?

Meine Angst hat aber noch nicht abgenommen, weil ich eben noch ein Mensch des Abstands und der Geheimhaltung bin, und mir nur allzu bewusst bin, dass diese Techniken, wenn sie denn für Alle vorhanden und eingeführt sind, auch ein Verhaltensänderung bewirken werden. Und zwar wahrscheinlich keine geringe.

Vielleicht in die richtige Richtung, richtig im Sinne von mehr Gelingen und mehr Freude und damit weniger ... und ... , aber Sie wissen bescheid. Vielleicht?

Nachgestellt, noch eine Kritik an mir und meinen Ansichten, von einem der besten Nach-Denker der Menschheit.


Von Friedrich Nietzsche, aus »Zur Genealogie der Moral«, erschienen 1887 in Leipzig, daraus die: Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale?
Abschnitt 23.

Das asketische Ideal hat nicht nur die Gesundheit und den Geschmack verdorben, es hat noch etwas Drittes, Viertes, Fünftes, Sechstes verdorben — ich werde mich hüten zu sagen was Alles (wann käme ich zu Ende!). Nicht was dies Ideal gewirkt hat, soll hier von mir an’s Licht gestellt werden; vielmehr ganz allein nur, was es bedeutet, worauf es rathen lässt, was hinter ihm, unter ihm, in ihm versteckt liegt, wofür es der vorläufige, undeutliche, mit Fragezeichen und Missverständnissen überladne Ausdruck ist. Und nur in Hinsicht auf diesen Zweck durfte ich meinen Lesern einen Blick auf das Ungeheure seiner Wirkungen, auch seiner verhängnissvollen Wirkungen nicht ersparen: um sie nämlich zum letzten und furchtbarsten Aspekt vorzubereiten, den die Frage nach der Bedeutung jenes Ideals für mich hat. Was bedeutet eben die Macht jenes Ideals, das Ungeheure seiner Macht? Weshalb ist ihm in diesem Maasse Raum gegeben worden? weshalb nicht besser Widerstand geleistet worden? Das asketische Ideal drückt einen Willen aus: wo ist der gegnerische Wille, in dem sich ein gegnerisches Ideal ausdrückte? Das asketische Ideal hat ein Ziel, — dasselbe ist allgemein genug, dass alle Interessen des menschlichen Daseins sonst, an ihm gemessen, kleinlich und eng erscheinen; es legt sich Zeiten, Völker, Menschen unerbittlich auf dieses Eine Ziel hin aus, es lässt keine andere Auslegung, kein andres Ziel gelten, es verwirft, verneint, bejaht, bestätigt allein im Sinne seiner Interpretation (— und gab es je ein zu Ende gedachteres System von Interpretation?); es unterwirft sich keiner Macht, es glaubt vielmehr an sein Vorrecht vor jeder Macht, an seine unbedingte Rang-Distanz in Hinsicht auf jede Macht, — es glaubt daran, dass Nichts auf Erden von Macht da ist, das nicht von ihm aus erst einen Sinn, ein Daseins-Recht, einen Werth zu empfangen habe, als Werkzeug zu seinem Werke, als Weg und Mittel zu seinem Ziele, zu Einem Ziele… Wo ist das Gegenstück zu diesem geschlossenen System von Wille, Ziel und Interpretation? Warum fehlt das Gegenstück?… Wo ist das andre „Eine Ziel“?… Aber man sagt mir, es fehle nicht, es habe nicht nur einen langen glücklichen Kampf mit jenem Ideale gekämpft, es sei vielmehr in allen Hauptsachen bereits über jenes Ideal Herr geworden: unsre ganze moderne Wissenschaft sei das Zeugniss dafür, — diese moderne Wissenschaft, welche, als eine eigentliche Wirklichkeits-Philosophie, ersichtlich allein an sich selber glaube, ersichtlich den Muth zu sich, den Willen zu sich besitze und gut genug bisher ohne Gott, Jenseits und verneinende Tugenden ausgekommen sei. Indessen mit solchem Lärm und Agitatoren-Geschwätz richtet man Nichts bei mir aus: diese Wirklichkeits-Trompeter sind schlechte Musikanten, ihre Stimmen kommen hörbar genug nicht aus der Tiefe, aus ihnen redet nicht der Abgrund des wissenschaftlichen Gewissens — denn heute ist das wissenschaftliche Gewissen ein Abgrund —, das Wort „Wissenschaft“ ist in solchen Trompeter-Mäulern einfach eine Unzucht, ein Missbrauch, eine Schamlosigkeit. Gerade das Gegentheil von dem, was hier behauptet wird, ist die Wahrheit: die Wissenschaft hat heute schlechterdings keinen Glauben an sich, geschweige ein Ideal über sich, — und wo sie überhaupt noch Leidenschaft, Liebe, Gluth, Leiden ist, da ist sie nicht der Gegensatz jenes asketischen Ideals, vielmehr dessen jüngste und vornehmste Form selber. Klingt euch das fremd?… Es giebt ja genug braves und bescheidenes Arbeiter-Volk auch unter den Gelehrten von Heute, dem sein kleiner Winkel gefällt, und das darum, weil es ihm darin gefällt, bisweilen ein wenig unbescheiden mit der Forderung laut wird, man solle überhaupt heute zufrieden sein, zumal in der Wissenschaft, — es gäbe da gerade so viel Nützliches zu thun. Ich widerspreche nicht; am wenigsten möchte ich diesen ehrlichen Arbeitern ihre Lust am Handwerk verderben: denn ich freue mich ihrer Arbeit. Aber damit, dass jetzt in der Wissenschaft streng gearbeitet wird und dass es zufriedne Arbeiter giebt, ist schlechterdings nicht bewiesen, dass die Wissenschaft als Ganzes heute ein Ziel, einen Willen, ein Ideal, eine Leidenschaft des grossen Glaubens habe. Das Gegentheil, wie gesagt, ist der Fall: wo sie nicht die jüngste Erscheinungsform des asketischen Ideals ist, — es handelt sich da um zu seltne, vornehme, ausgesuchte Fälle, als dass damit das Gesammturtheil umgebogen werden könnte — ist die Wissenschaft heute ein Versteck für alle Art Missmuth, Unglauben, Nagewurm, despectio sui, schlechtes Gewissen, — sie ist die Unruhe der Ideallosigkeit selbst, das Leiden am Mangel der grossen Liebe, das Ungenügen an einer unfreiwilligen Genügsamkeit. Oh was verbirgt heute nicht Alles Wissenschaft! wie viel soll sie mindestens verbergen! Die Tüchtigkeit unsrer besten Gelehrten, ihr besinnungsloser Fleiss, ihr Tag und Nacht rauchender Kopf, ihre Handwerks-Meisterschaft selbst — wie oft hat das Alles seinen eigentlichen Sinn darin, sich selbst irgend Etwas nicht mehr sichtbar werden zu lassen! Die Wissenschaft als Mittel der Selbst-Betäubung: kennt ihr das?… Man verwundet sie — Jeder erfährt es, der mit Gelehrten umgeht — mitunter durch ein harmloses Wort bis auf den Knochen, man erbittert seine gelehrten Freunde gegen sich, im Augenblick, wo man sie zu ehren meint, man bringt sie ausser Rand und Band, bloss weil man zu grob war, um zu errathen, mit wem man es eigentlich zu thun hat, mit Leidenden, die es sich selbst nicht eingestehn wollen, was sie sind, mit Betäubten und Besinnungslosen, die nur Eins fürchten: z u m   B e w u s s t s e i n   z u   k o m m e n …

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