Samstag, 28. Juli 2012

Selbst-Zufriedenheit

Ist die Selbst-Zufriedenheit eine Deutsche Grösse?

Bestimmt, aber eher weniger in den Deutschen Dichtern: "... denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.", oder?

In den deutschen Dichtern - egal aus welcher RaumZeit-Phase, wenn sie etwas weiter gereist waren, also etwas herumgekommen sind in Europa oder sogar noch weiter wegg -, legte sich bei der Heimkunft jeweils so ein Schleier der Larmoyanz über die HeimatLiebe, ach und och und weh ...

Trunken vor Freiheitsdurst und -lust ward das Mensch sobald Es das heimatliche Ei verlassen hatte; und konnte das Anders-daSein kaum erwarten.

Und manchmal auch kaum aushalten, dass ander-Es Mensch-Sein, als deutsches Mensch-Sein, fränzösisches Mensch-Sein zum Beispiel, römisches Mensch-Sein, auch gerne griechisches Mensch-Sein (verzeihen Sie, aber *ich spreche auch von einer RaumZeit-Phase auch vor der Krise, und die ist wesentlich länger, als die RaumZeit-Phase der momentanen Krise und da galt das Griechische und Römische ganz vergangenheits-trunken und aktualitäts-vergessend, als die nächste Nähe zum Paradies).

Ziemlich unausstehlich wurde einem der Rückblick oft von GrossBritannien aus, so frei dort, so weit, so derb, aber auch so zart, wirklich zart!
Nicht dieses blümerante "zart" sein, wo ein-Es vor lauter drögen Andeutungen fast erstickt, ja von Ferne gefror ein-Es oft der Blick und wenn ein-Es dann wieder zurück kam, in die Kleinheit, in die Enge des ehemaligen Zuhause, passierte vielleicht auch folgendes mit einer Dichterseele; einem DichterVerstand lief dann gerne auch mal das Fass über:
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Friedrich Hölderlin
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Aus Friedrich Hölderlins: „Hyperion“

"So kam ich unter die Deutschen. Ich forderte nicht viel und war gefasst, noch weniger zu finden. 
[...] 
Barbaren von Alters her, durch Fleiss und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark [...], in jedem Grad der Übertreibung und der Ärmlichkeit beleidigend für jede gutgeartete Seele, dumpf und harmonielos, wie die Scherben eines weggeworfenen Gefäßes - das, mein Bellarmin, waren meine Tröster. 
Es ist ein hartes Wort, und dennoch sag ichs, weil es Wahrheit ist: ich kann kein Volk mir denken, das zerrissener wäre, wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen - ist das nicht, wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt untereinander liegen, indessen das vergossene Lebensblut im Sande zerrinnt? 
Ein jeder treibt das Seine, wirst du sagen, und ich sag' es auch. Nur muss er es mit ganzer Seele treiben, muss nicht jede Kraft in sich ersticken, wenn sie nicht gerade sich zu seinem Titel passt, muss nicht mit dieser kargen Angst, buchstäblich heuchlerisch das, was er heisst, nur sein, mit Ernst, mit Liebe muß er das sein, was er ist, so lebt ein Geist in seinem Tun, und ist er in ein Fach gedrückt, wo gar der Geist nicht leben darf, so stoss ers mit Verachtung weg und lerne pflügen! Deine Deutschen aber bleiben gerne beim Notwendigsten, und darum ist bei ihnen auch so viel Stümperarbeit und so wenig Freies, echt erfreuliches. Doch das wäre zu verschmerzen, müssten solche Menschen nur nicht fühllos sein für alles schöne Leben, ruhte nur nicht überall der Fluch der gottverlassnen Unnatur auf solchem Volke. - 
Die Tugenden der Alten sei'n nur glänzende Fehler, sagt' einmal, ich weiss nicht mehr, welche böse Zunge; und es sind doch selber ihre Fehler Tugenden, denn da noch lebt' ein kindlicher, ein schöner Geist, und ohne Seele war von allem, was sie taten, nichts getan. Die Tugenden der Deutschen aber sind ein glänzend Übel und nichts weiter; denn Notwerk sind sie nur, aus feiger Angst, mit Sklavenmühe, dem wüsten Herzen abgedrungen, und lassen trostlos jede reine Seele, die von Schönem gern sich nährt, ach!, die verwöhnt vom heiligen Zusammenklang in edleren Naturen, den Misslaut nicht erträgt, der schreiend ist in all der toten Ordnung dieser Menschen. 
Ich sage dir: es ist nichts Heiliges, was nicht entheiligt, nicht zum ärmlichen Behelf herabgewürdigt ist bei diesem Volk, und was selbst unter Wilden göttlich rein sich meist erhält, das treiben diese allberechnenden Barbaren, wie man so ein Handwerk treibt, und können es nicht anders, denn wo einmal ein menschlich Wesen abgerichtet ist, da dient es seinem Zwek, da sucht es seinen Nutzen, es schwärmt nicht mehr, bewahre Gott!, es bleibt gesetzt, und wenn es feiert und wenn es liebt und wenn es betet und selber wenn des Frühlings holdes Fest, wenn die Versöhnungszeit der Welt die Sorgen alle löst, und Unschuld zaubert in ein schuldig' Herz, wenn von der Sonne warmem Strahle berauscht, der Sklave seine Ketten froh vergisst und von der gottbeseelten Luft besänftiget, die Menschenfeinde friedlich, wie die Kinder, sind - wenn selbst die Raupe sich beflügelt und die Biene schwärmt, so bleibt der Deutsche doch in seinem Fach' und kümmert sich nicht viel ums Wetter! 
Aber du wirsts richten, heilige Natur! Denn wenn sie nur bescheiden wären, diese Menschen, zum Gesetze sich nicht machten für die Bessern unter ihnen! wenn sie nur nicht lästerten, was sie nicht sind, und möchten sie doch lästern, wenn sie nur das Göttliche nicht höhnten! - 
Oder ist nicht göttlich, was ihr höhnt und seellos nennt? 
[...] 
Es ist auch herzzerreißend, wenn man eure Dichter, eure Künstler sieht, und alle, die den Genius noch achten, die das Schöne lieben und es pflegen. Die Guten! Sie leben in der Welt, wie Fremdlinge im eigenen Hause, sie sind so recht, wie der Dulder Odysseus, da er in Bettlergestalt an seiner Türe sass, indes die unverschämten Freier im Saale lärmten und fragten, wer hat uns den Landläufer gebracht? 
Voll Lieb' und Geist und Hoffnung wachsen seine Musenjünglinge dem deutschen Volk' heran; du siehst sie sieben Jahre später, und sie wandeln, wie die Schatten, still und kalt, sind, wie ein Boden, den der Feind mit Salz besäte, dass er nimmer einen Grashalm treibt; und wenn sie sprechen, wehe dem!, der sie versteht, der in der stürmenden Titanenkraft, wie in ihren Proteuskünsten den Verzweiflungskampf nur sieht, den ihr gestörter Geist mit den Barbaren kämpft, mit denen er zu tun hat. 
Es ist auf Erden alles unvollkommen, ist das alte Lied der Deutschen. Wenn doch einmal diesen Gottverlassnen einer sagte, dass bei ihnen nur so unvollkommen alles ist, weil sie nichts Reines unverdorben, nichts Heiliges unbetastet lassen mit den plumpen Händen, dass bei ihnen nichts gedeiht, weil sie die Wurzel des Gedeihens, die göttliche Natur nicht achten, dass bei ihnen eigentlich das Leben schaal und sorgenschwer und übervoll von kalter stummer Zwietracht ist, weil sie den Genius verschmähen, der Kraft und Adel in ein menschlich Tun, und Heiterkeit ins Leiden und Lieb' und Brüderschaft den Städten und den Häusern bringt. 
Und darum fürchten sie auch den Tod so sehr, und leiden, um des Austernlebens willen, alle Schmach, weil Höheres sie nicht kennen, als ihr Machwerk, das sie sich gestoppelt. 
O Bellarmin! wo ein Volk das Schöne liebt, wo es den Genius in seinen Künstlern ehrt, da weht, wie die Lebensluft, ein allgemeiner Geist, da öffnet sich der scheue Sinn, der Eigendünkel schmilzt, und fromm und gross sind alle Herzen und Helden gebiert die Begeisterung. Die Heimat aller Menschen ist bei solchem Volk' und gerne mag der Fremde sich verweilen. Wo aber so beleidigt wird die göttliche Natur und ihre Künstler, ach!, da ist des Lebens beste Lust hinweg, und jeder andere Stern ist besser, denn die Erde. Wüster immer, öder werden da die Menschen, die doch alle schöngeboren sind; der Knechtsinn wächst, mit ihm der grobe Mut, der Rausch wächst mit den Sorgen, und mit der Üppigkeit der Hunger und die Nahrungsangst; zum Fluche wird der Segen jedes Jahres und alle Götter fliehn. 
Und wehe dem Fremdling, der aus Liebe wandert, und zu solchem Volke kömmt, und dreifach wehe dem, der, so wie ich, von großem Schmerz getrieben, ein Bettler meiner Art, zu solchem Volke kömmt! - 
Genug! du kennst mich, wirst es gut aufnehmen, Bellarmin! Ich sprach in deinem Namen auch, ich sprach für alle, die in diesem Lande sind und leiden, wie ich dort gelitten.

Ich wollte nun aus Deutschland wieder fort. Ich suchte unter diesem Volke nichts mehr, ich war genug gekränkt, von unerbittlichen Beleidigungen, wollte nicht, dass meine Seele vollends unter solchen Menschen sich verblute. 
Aber der himmlische Frühling hielt mich auf; er war die einzige Freude, die mir übrig war, er war ja meine lezte Liebe, wie konnt' ich noch an andre Dinge denken und das Land verlassen, wo auch er war?".

Jetzt verwechseln Sie *mich bitte bloss nicht mit diesem Menschen!
Aber nachempfinden kann *ich das schon, so manchmal, als ein-Es, das auch etwas herumgekommen ist und andere EsLebensarten und -weisen und Wetterarten und Handlungsarten und Freundesweisen kennen gelernt hat.
Und *ich lese diesen Text auch als: vor dem Dritten Reich, *ich bin ja nun auch Eines derJenig-Es, das gerne Wissen und Ergründen möchte:
Warum Hier und Warum so Viele?

Da lastet Etwas in uns deutschen Menschen und das möchte entlastet sein, aber das nur am Rande. Ich frage beim Lesen dieses und vieler anderer Heimkehrer-Texte auch einen Verlust heraus, einen Verlust der Eigenheit, einen Verlust der Vielfalt.

Warum wollen wir deutschen Menschen nicht mehr so herzergreifend Leiden und mit dem Deutsch-Sein so unerquicklich unzufrieden sein, warum wollen wir deutschen Menschen die grunzende Selbst-Bemitleidung so dringend aufgeben, warum den stechenden Selbst-Hass aufgeben?

Ich frage Sie, als deutsches oder anderes Mensch, warum sollen Wir das aufgeben, es hat Uns doch bisher so deutlich geziert, oder etwa nicht?
"HerrGott"! noch mal, ich mag das, mich als deutsches Mensch ewig um den Schmerz bekümmern, täglich ein wenig über das vergangene Leid wimmern und Alle anderen um deren Anders-Sein beneiden, ausser vielleicht, Sie sind Afrikaner, oder Afghane, oder Bengale ... aber sonst.
Ist das Bohren in der Tiefe nicht etwas typisch Deutschöstereichisches, ist das nicht vielleicht sogar unsere Aufgabe im DaSein, die Tiefenbohrung?
Es sind doch schon genug Ander-Es dabei, in der Nähe, der Ferne oder gar der Weite herumzustreifen, des deutschen Menschen Frust ist es also vielleicht tiefer zu gehen und noch ein wenig tiefer, in das Leiden des Mensch-Seins, nicht etwa in die Freuden. Nein, das überlassen Wir [un]gern auch den Briten, Nein Wir bohren in den Schmerz, immer tiefer, aber ...

Tja, gehts noch? Kommen Sie mal wieder hoch hier, Hierher, bitte. Schauen Sie mal zurück, in das Loch, das Sie da mit mir nun gebohrt haben ... Sehen Sie das? Mhh? Aber ich Bitte Sie, Sie sehen doch wohl das Licht dort unten, Sie sind doch schon fast durch gewesen, fast wären Sie hinausgefallen, so einfach hinaus aus dem Leiden, das geht doch nicht, ist doch schon genug, jetzt bleiben Sie mal hier und machen eine längere Pause, genug gebohrt, reicht schon ... einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen, wollen Sie was trinken, vielleicht ein Nutella-Brot?

Es bleibt die Frage: Wenn das deutsche Mensch nicht mehr unzufrieden sein darf, nicht mehr nur Zweiter sein darf, nicht mehr tiefer sein darf, als selbst die russischen Menschen es noch sind, was bleibt dann noch Deutsch, sind Wir irgendwann alle US-amerikanische Menschen, voll mit der Zukunft versöhnt, voll bewaffnet und abgeschnürt von der Herkunft?
Fortsetzung folgt.

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