Montag, 20. August 2012

Vom Wert der Lebendigkeit

Gedanken nach und zu einem Beitrag aus der Hölle.

Eine in mir fortlaufend gestellte Frage lautet: Was heisst es, aus Katastrophen, Verbrechen, Unglücksfällen oder auch dem Glück, der Freude und dem Wohlgefallen zu lernen?

Das Natur (hat Natur ein Geschlecht? Also warum "die"? Gewohnheit?) "lernt" mehr oder weniger zufällig und baut das gelernte durch Erfahrung. Mutation und Selektion (Evolution) z.B. auch in das menschliche Ich {= alle Selbst} ein.

Das Mensch ist das Vermögen auch in logischen Schritten zu lernen, - also den Zufall zu ordnen (!) -, kann also im voraus lernen, voraus denken und planen und bewusst die Zukunft mitgestalten, weit mehr bewusst, als es das Natur schon tut, auch in Uns.

Das DaSein ist bewusst, das zeigen auch wir DaSeienden. Aber wie geschieht das und was müssen Wir aktiv dazu beitragen, das Wir mehr als nur natürlich lernen und schmerzhaftes noch mehr vermeiden, als das bisher schon mit Uns geschieht?

Zum Beispiel aus das Hölle.

Aus Berichten aus das Hölle.
Ohne das Wissen von und die Berichte aus der Shoah, stellte ich als junger Mensch, Schauergeschichten verschlingend oder auch in der Bibel lesend, öfter die Frage: Was ist die Hölle, wie ist die Hölle?

Ist das Hölle nach dem Tod, oder ist Es davor, ist das Hölle nur oder auch innerhalb der Lebendigkeit? Sie entscheiden Selbst.

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Wand Kunst an der Prenzlauer Allee, 
in Berlin-Mitte
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Meinen persönliche Ansicht ist: das Hölle ist ein Geschehen innerhalb der Lebendigkeit, das Tod ist für das Hölle nicht vorgesehen. Wenn das Tod ein Bereich im SEIN ist (Sie werden noch lesen, wie entleert oder auch entehrt dieser Begriff - SEIN - ausserhalb von *mir war und noch ist, für mich ist er inzwischen VOLL, so VOLL, das ALLES und JEDES darin enthalten ist, auch und selbst (Selbst?) das Nichts, also auch Sie (nehmen Sie es mit Humor;-)), so hat die Hölle darin - im Tod - keinen Platz.

Hölle braucht Gefühle (vor allem den Schmerz!), Gespür und Bedürfnisse und zwar eine grosse Spanne davon, und ich bin gewiss, der Bereich des Todes im SEIN kommt sehr gut OHNE das Alles aus. Aber über den Inhalt der Wirklichkeit (SEIN) wird im folgenden noch verhandelt.

Waren Sie schon mal in dem Hölle, in einem kurzen oder kleinen Hölle vielleicht? 
Nein.
In einem anderen vielleicht, oder haben vielleicht mal an einem geschnuppert oder sind daran vorbei gegangen oder auch schnell durchgefahren?

Nein. Dann ist Ihnen also etwas erspart geblieben, und Sie sind in der bevorzugten Lage "nur" immer um das Paradies herumgelebt zu haben, vielleicht sind Sie ja gar ein bewohn-Es des Paradieses, Sie glücklich-Es!

Wenn Sie also ein Urteil zum Weltgeschehen abgeben, zum Ablauf der RaumZeit, zu Unserem Umfeld, zu Ihrem Umfeld (falls Sie nicht Berlin-Kreuzberger sind), fehlt Ihnen da gewiss ein wichtiger Einblick, und nicht nur das, Ihnen fehlt ein wichtiges erLeben, die Lebendigkeit in aller Vielfalt zu bemessen: das Erlebnis des Hölles.
Belehren Sie mich, falls Sie das anders spüren oder gar fühlen.

Sind Sie also schon mal richtig geprügelt worden, geschlagen und getreten, auch zwischen die Oberschenkel; mussten Sie schon tage- oder wochenlang isoliert und hungrig in einem versperrten, vielleicht sogar verdunkelten Raum zubringen, hatten Sie schon Todesangst, oder haben Sie andere Quälereien erlitten? Wenn ja, dann ist das schon mehr als eine Ahnung von dem was Hölle ist. Ansonsten, bleibt es für mich dabei, Ihnen fehlt ein wichtiges erLeben, um die Lebendigkeit in Gänze und Fülle angemessen zu bewerten. Verzeihen Sie diese Bemerkungen, *ich weiss ja nun, dass erstmal jedes ich ein Urteil zu Allem zutraut, *ich hatte ja selbst zu Allem und Alles etwas zu sagen, inzwischen schweige *ich bei fehlender Kenntnis lieber, und lasse mich von kennend-Es belehren und aufkären. Zum Beispiel von Jean Améry

Ein paar Worte zum nachfolgenden Text-Auszug:
Jean Améry unterscheidet oft zwischen intellektuellen und un-intellektuellen Kameraden. Mir missfällt diese kategorische, etwas überheblich wirkende Trennung zwischen dem "intellektuellen" oder auch "geistigen" Häftling und dem  "ungeistigen".
Ohne jedoch zu übersehen, dass es eine Verschiedenheit in der Befassung und der Beurteilung der Wirklichkeit gibt, die sich mit zunehmendem Wissen und auch der in Worte gefassten Erfahrung (Intellektualität) ändert.

Verzeihen Sie diese vielleicht Banalitäten: Aber es ist klar, dass erfahrene UND umfassend gebildete Menschen mit den An- und Herausforderungen der Lebendigkeit und der jeweiligen Umstände anders umgehen, als zwar erfahrene aber weniger gebildete, belesene und nachdenkliche Menschen.

Für manchen Umstand ist Bildung hinderlich, für andere Unwissenheit.

Es bleibt dabei stets das Tatsache, dass ALLE Menschen auf einer Ebene stehen, sitzen liegen, - was auch immer -, und dieSelbe Behandlung und NICHT Misshandlung verdienen. Egal, in welche Verhältnisse Sie hineingeboren wurden, und wie Sie gefördert und gefordert wurden und welche Positionen / Ämter Sie in den menschlichen Gesellschaften einnehmen, oder Ihnen aufGrund der Ausbildung möglich ist.

Nicht der Zufall darf bei der Behandlung zwischen Menschen im mitEinander eine Rolle spielen, sondern die Bedürfnisse und die sind bei allen Menschen sehr sehr sehr ähnlich, annähernd dieSelben (99%)! Nur LEIDer wird das Eine damit besser versorgt und das Andere weniger oder sogar sehr viel weniger.

Die Spannen sind dabei teils gewaltig.
Für mich ist es immer noch kaum fassbar, welche enormen Verschiedenheiten und Unterschiede es innerhalb der menschlichen Gemeinschaften, in allen Bereichen der Bedürfnisbefriedigung und -beteiligung gibt.

Kann ich die aktuellen Geschehnisse beurteilen ohne davon Kenntnis zu haben, ohne mehr als nur an dem Hölle geschnuppert zu haben?

Klar kommt dann auch die Frage auf: muss ein Mensch erst menschlich (künstlich!) in das Hölle geschickt werden, um das daSein im DaSein in all seiner Vielfalt, also auch seiner Grausamkeit, seinem Entsetzen, seiner völligen Ignoranz und der Widerlichkeit ausgesetzt gewesen zu sein?

Muss ich also Menschen foltern und quälen, ..., damit Sie ein Urteil von der Aktualität und der gesamten Wirklichkeit bilden können, - damit Sie ein stimmiges Urteil erleiden und erleben?

Bisher ist das so.
Die stimmigsten Bewertungen des Wirklichkeit liefern Menschen, die auch durch das Hölle gegangen sind oder sogar in das Hölle gelitten haben.
Wenn also die Handlungsart des Menschen weiterhin so bleibt, dass das Mensch auch in Zukunft die Entstehung von Höllen zulässt oder sogar fördert, - wie sie nur als winziges Beispiel seit Jahren auch im Kongo und darum herum stattfindet, aktuell im SüdSudan und Syrien -, dann braucht Mensch zu einem stimmigen Urteil auch weiterhin einen Hölleneindruck.

Wenn das Mensch allerdings die Handlungsart auf eine / zur Handlungsweise weiterentwickelt, die die im folgenden Text-Auszug erwähnte vergangene Hölle und die im aktuellen RaumZeit-Abschnitt stattfindenden Höllen vermeidet und verhindert, dann fällt auch das Erlebnis von diesen Höllen für eine statthafte Bewertung der Wirklichkeit wegg.
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Vom 07. Mai 2014
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Hier nun ein kleiner Ausschnitt aus einem Hölle.
Aus einem (von deutschen) menschengemachten Hölle.
Die Stellen, die *ich während des Lesens im Buch angestrichen habe, habe *ich auch hier unterstrichen.

»Nach dem Zusammenbruch der ästhetischen Todesvorstellungen stand dann der intellektuelle Häftling dem Tod ungewappnet gegenüber. Versuchte er dennoch ein geistiges und metaphysisches Verhältnis zum Tode herzustellen, stiess er sich auch hier wieder an der Lagerrealität, die einen solchen Versuch zur Aussichtslosigkeit verurteilte. Wie ging das in der Praxis zu? Um es knapp und trivial zu sagen: Auch der geistige Häftling befasste sich, gleich seinem ungeistigen Kameraden, nicht mit dem Tode, sondern mit dem Sterben; damit aber wurde das Problem reduziert auf eine Anzahl konkreter Überlegungen. So sprach man beispielsweise im Lager von einem SS-Mann, der einmal einem Häftling den Bauch aufgeschlitzt  und mit Sand aufgefüllt hatte. Es liegt auf der Hand, dass man sich angesichts solcher Möglichkeiten kaum noch damit befasste, ob beziehungsweise dass man sterben müsse, sondern nur noch, wie es geschehen würde. Man führte Gespräche darüber, wie lange es wohl dauere, bis das Gas in der Gaskammer seine Wirkung tut. Man spekulierte über die Schmerzhaftigkeit des Todes durch Phenolinjektionen. Sollte man sich einen Schlag über den Schädel wünschen oder den langsamen Erschöpfungstod im Krankenbau? Es war bezeichnend für die Situation des Häftlings dem Tode gegenüber, dass nur wenige sich entschlossen, »an den Draht zu laufen«, wie man sagte, das heisst: durch Berührung der mit Starkstrom geladenen Stacheldrähte Selbstmord zu begehen. Der Draht war ja eine gute und ziemlich sichere Sache, vielleicht aber wurde man vorher, beim Versuch, sich ihm zu nähern, ertappt und in den Bunker geworfen, was zu einem schwierigen und peinvollen Sterben führte. Das Sterben war allgegenwärtig, der Tod entzog sich.
Nun ist freilich allüberall die Todesangst wesentlich Sterbensangst, und auch für das Lager gilt, was Franz Borkenau einmal gesagt hat, dass nämlich die Todesfurcht der Schreck vor dem Ersticken sei  {http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Borkenau}. Gleichwohl ist es in der Freiheit möglich, Todesgedanken zu hegen, die nicht gleichzeitig auch Sterbensgedanken, Sterbensängste sind. Der Tod in der Freiheit kann geistig wenigstens prinzipiell losgekettet werden vom Sterben: sozial, indem er sich besetzen lässt mit Überlegungen über die zurückbleibende Familie, den Beruf, den man verlässt, gedanklich durch die Bemühung, seiend einen Anhauch des Nichts zu verspüren. Dass ein solcher Versuch zu keinem Ergebnis führt, dass die Todeskontradiktion unauflöslich ist, muss nicht erst gesagt werden. Immerhin findet das Bestreben seine Würde in sich selbst: Es kann der freie Mensch dem Tode gegenüber eine bestimmte geistige Haltung einnehmen, weil für ihn der Tod nicht ganz und gar aufgeht in der Mühsal des Sterbens. Es kann der freie Mensch an die Grenze der Denkmöglichkeit vorstossen, weil es in ihm einen, wenn auch noch so winzigen angstfreien Raum gibt. Für den Häftling aber hat der Tod keinen Stachel: keinen, der weh tut, keinen, der zum Denken anreizt. Hieraus erklärt sich vielleicht, dass der Lagerhäftling - und dies gilt nun gleichermassen für den geistigen wie den ungeistigen - zwar quälende Furcht vor bestimmten Sterbensarten, kaum aber eigentliche Todesangst gekannt hat. Wenn ich von mir persönlich sprechen darf, sei hier die Versicherung abgegeben, dass ich mich niemals für besonders tapfer hielt und es wahrscheinlich auch nicht bin. Dennoch, als man mich einmal, nachdem ich schon ein paar Monate Straflager hinter mir hatte, aus der Zelle holte und der SS-Mann mir die freundliche Versicherung abgab, ich sollte jetzt erschossen werden, nahm ich das mit vollkommenem Gleichmut auf. »Jetzt hast du wohl Angst?« sagte der Mann zu mir, der sich seinen Spass machte. »Ja«, antwortete ich, aber mehr aus Gefälligkeit, und um ihn nicht durch die Enttäuschung seiner Erwartungen zu Brutalitäten herauszufordern. Nein, wir hatten keine Angst vor dem Tode. Deutlich erinnere ich mich, wie Kameraden, in deren Blocks Selektionen für die Gaskammern erwartet wurden, nicht über diese sprachen, wohl aber mit allen Anzeichen von Furcht und Hoffnung über die Konsistenz der zu verteilenden Suppe. Mühelos triumphierte die Lagerrealität über den Tod und über den ganzen Komplex der sogenannten letzten Fragen. Auch hier stand der Geist vor seinen Schranken.
Alle jene Problem, die man einem Sprachübereinkommen gemäss die »metaphysischen« nennt, wurden gegenstandslos. Aber wiederum war es nicht Abgestumpftheit, die das Nachdenken darüber unmöglich machte, sondern im Gegenteil die grausame Schärfe eines von der Lagerwirklichkeit zugeschliffenen und gehärteten Intellekts. Dazu kam, dass es an emotionellen Kräften fehlte, mit denen man allenfalls vage philosophische Begriffe hätte besetzen und damit subjektiv-psychologisch sinnvoll machen könnte. Es fiel einem vielleicht dann und wann jener ungute Magus {gemeint: Martin Heidegger} aus dem Alemannenland ein, der gesagt hat, dass dem Menschen das Seiende nur durch das Licht des Seins erscheine, dass er aber über jenem dieses vergessen habe. Das Sein, so so. Aber es war im Lager überzeugender offenbar als draussen, dass gar nichts anzufangen war mit Seiendem und Seinslicht. Man konnte hungrig sein, müde sein, krank sein. Zu sagen, dass man sei schlechthin, ergab keinen Sinn. Und das Sein gar wurde definitiv zu einem anschauungslosen und darum leeren Begriff. Mit Worten hinauszulangen über die Realexistenz wurde vor unseren Augen nicht nur zu einem wertlosen und luxuriös-unerlaubten, sondern auch zu einem höhnischen und bösen Spiel. Die Erscheinungswelt sorgte stündlich für den Nachweis, dass ihrer Unerträglichkeit nur mit den ihr immanenten Mitteln beizukommen war. Anders formuliert: Nirgendwo sonst in der Welt hatte die Wirklichkeit soviel wirkende Kraft wie im Lager, nirgendwo anders war sie so sehr Wirklichkeit. An keiner anderen Stelle erwies sich der Versuch, sie zu überschreiten, als so aussichtslos und so wohlfeil. Wie die Gedichtstrophe von den sprachlos stehenden Mauern und den im Winde klirrenden Fahnen {aus "Hälfte des Lebens", von Friedrich Hölderlin} verloren auch die philosophischen Aussagen ihre Transzendenz und wurden vor uns teils zu sachlichen Feststellungen, teils zu ödem Geplapper: Wo sie etwas meinten, erschienen sie trivial, und wo sie nicht trivial waren, dort meinten sie nichts mehr. Dies zu erkennen, bedurften wir keiner semantischen Analyse und keiner logischen Syntax: ein Blick auf die Wachtürme, das Schnuppern nach dem Fettbrandgeruch der Krematorien genügte.«
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Der obige Auszug ist aus: »Jenseits von Schuld und Sühne, Bewältigungsversuch eines Überwältigten«, Verlag Klett-Cotta, 1977, Seiten 40 bis 43.

Weitere Informationen und einen anderen Textausschnitt von Jean Améry finden Sie auch in dem Beitrag. "Von der Tarnung der Wirklichkeit", aus dem Juli 2012, in diesem Blog.

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